Siglind Bruhn
Hindemiths große Bühnenwerke
Im Zentrum dieses Buches stehen Hindemiths drei große Opern, die als musikdramatische Charakterstudien die lebensgeschichtlichen und sozialen Konflike außergewöhnlicher Menschen nachzeichnen. In Cardillac porträtiert der Komponist den (von E.T.A. Hoffmann verewigten) genialen aber verbrecherischen Goldschmied aus dem Paris Ludwigs XIV. mittels moderner Nachschöpfungen zeitgenössischer höfischer Musikformen; in Mathis der Maler deutet er das Leben Grünewalds im Kontext von Reformation und Bauernkriegen, indem er es szensich, dramatisch und musikalisch im hl. Antonius des Isenheimer Altars spiegelt; in Die Harmonie der Welt zeigt er Johannes Kepler, einen der Schöpfer des modernen Weltbildes, der die Spannungen im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ebenso verkörpert wie die Sehnsucht nach kosmischer Ordnung und universeller Harmonie.
Ergänzt werden die Diskussionen dieser Hauptwerke durch zwei Einakter. Das Frühwerk Sancta Susanna, die Vertonung eines Textes des Expressionisten August Stramm, kreist um die Ambivalenz von mystischer Liebe und Erotik; im Spätwerk The Long Christmas Dinner, für das Thornton Wilder das Libretto schrieb, reflektiert Hindemith musikalisch raffiniert den Sinnverlust bürgerlicher Konventionen vor dem Hintergund unaufhaltsam verrinnender Zeit. Den Abschluss der Studie bildet eine Analyse der Ballettmusik Hérodiade, einer äußerst ungewöhnlichen Vertonung und Ausdeutung eines Gedichtes von Stéphane Mallarmé.